Die Ellbogendysplasie (ED) Eine kurze Darstellung zu Ursachen, Diagnostik und Therapie

Eine Veröffentlichung mit freundlicher Genehmigung von Dr. Alexander Koch

Das Ellbogengelenk besteht aus Knochenanteilen des Oberarms, der Elle und der Speiche. An den Gelenkflächen ist der Knochen mit Knorpel bedeckt. Der obere Teil der Elle formt den hinteren Teil des Gelenkes und nimmt in seine halbmondförmige Aussparung die Gelenkwalze des Oberarms auf. Die Elle besitzt einen zapfenförmigen Ansatz (Processus anconaeus), der bei Streckung in die Aussparung über der Gelenkwalze des Oberarms hineinragt und stabilisierend wirkt. Im unteren Bereich besitzt die Elle zwei Gelenkfortsätze, die so genannten inneren und äußeren Kronfortsätze (Processus Coronoideus mediales und laterales), die die Speiche umgreifen (siehe Abb. 1).

Das Ellbogengelenk stellt ein so genanntes Scharniergelenk dar. Die Gelenkwalze des Oberarmes mit seiner Führungsrinne bildet das Gegenstück des Processus anconaeus. Die Bewegung erfolgt hauptsächlich in einer Ebene in Beugung und Streckung.

Abbildung 1: Seitliche Ansicht des Ellbogengelenkes mit Darstellung einiger wichtiger anatomischer Punkte.

Die Ellbogendysplasie (Dysplasie = Fehlbildung) ist ein Überbegriff für alle entwicklungsbedingten Fehlbildungen des Ellbogengelenkes, die in Arthrose enden. Unter dem Namen ED sind mehrere Krankheitsursachen (Primärläsionen) zusammengefasst. Die Ellbogendysplasie nimmt in der Wachstumsphase des Hundes (bis zum 12. Lebensmonat) ihren Anfang.

In den meisten Fällen ist eine mangelnde Abgestimmtheit der Knochenanteile des Gelenkes eine auslösende Ursache. Eine häufige Form dieser Inkongruenz ist eine Stufenbildung zwischen Elle und Speiche. Je nach Schwere und Art dieser Inkongruenz entstehen Schäden an bestimmten Knochenpunkten im Gelenk, die bis hin zu einem lockeren bzw. abgesprengtem Knochenanteil führen können.

Neben der Inkongruenz werden zu den beteiligten Krankheitsursachen der ED die Osteochondrosis dissecans (OCD) gezählt. Die OCD stellt einen lokalisierten Knorpeldefekt dar. Infolge unzureichender Knorpelentwicklung kann es zur Schädigung und Ablösung eines Knorpelanteils (Dissecat) kommen. Neben dem Ellbogengelenk kommt die OCD auch in anderen Gelenken wie dem Knie-, Schulter- (Abb. 2) und Sprunggelenk vor.

Abbildung 2: OCD im Schultergelenk mit abgelöstem Knorpelanteil (Dissecat).

Der fragmentierte (gelöste) mediale (innere) Processus Coronoideus medialis (FCP) und der isolierte Processus anconaeus (IPA) gehören ebenfalls zu den Primärläsionen der Ellbogendysplasie. Der FCP tritt meist durch Überbelastung infolge einer Inkongruenz (z.B Stufenbildung) auf. Durch eine verkürzte Speiche bzw. verlängerte Elle kommt es zu Ungleichmäßigkeit der Gelenkflächen und einer vermehrten Belastung des inneren Gelenkfortsatzes der Elle (Processus Coronoideus mediales), so dass es häufig in der Wachstumsphase ab dem 5. Lebensmonat zu einem Abbruch dieses Fortsatzes kommt. Der gelöste bzw. gebrochene Knochenfortsatz führt zu Entzündungsreaktionen im Gelenk. In einigen Fällen kann er auf der dem Knochenfortsatz gegenüberliegenden Seite infolge der mechanischen Reizung zu Knorpeldefekten, so genannten „Kissing Leasions“ führen ( siehe Abb. 5). Der isolierte Processus anconaeus (Abb.6) ist meist eine Folge einer ungenügenden Verknöcherung und Fusion mit der Elle, die zwischen dem vierten und fünften Lebensmonat auftritt. In vielen Fällen ist eine übermäßige Krafteinwirkung der Grund für die unvollständige Verknöcherung. Diese Überbelastung erfolgt meist durch eine verkürzte Elle, wodurch sich der ausgeübte Druck des Oberarms auf den Gelenkfortsatz erhöht. Die Primärläsionen führen einzeln oder in Kombination zu chronischen Entzündungen und Umbauvorgängen im Gelenk, der Osteoarthrose. Als erste Anzeichen entstehen meist kleinere Knochenauswüchse, die so genannten Osteophyten. Je nach Schwere und Fortschritt der Erkrankung sind diese osteophytren Zubildungen mehr oder weniger stark ausgeprägt.
Zudem können Verkalkungen (Metaplasien) an den ansetzenden Sehnen sowie eine unvollständige Verknöcherung der Gelenkswalze des Oberarms zur ED gerechnet werden. Diese Erkrankungen können für den Hund zuerst schmerzhaft sein und mit einer erheblichen Einschränkung der Lebensqualität einhergehen, insbesondere wenn sie spät erkannt werden. Meist beginnen die Hunde in einem Alter von fünf Monaten erstmalig mehr oder weniger stark zu lahmen. Die Lahmheit kann wechselnd sein, wenn die Ellbogengelenke beiderseits betroffen sind, und tritt insbesondere nach Ruhephasen oder längerer Belastung auf. Teilweise kann die Lahmheit mit lahmheitsfreien Phasen wechseln oder längere Zeit ganz fehlen. Meistens zeigt der betroffene Hund bei manueller Bewegung des Gelenkes, speziell bei Streckung, Schmerzäußerungen und stellt häufig, um den inneren Gelenkabschnitt zu entlasten, die Vorderpfote nach außen. Nicht selten ist durch die Entzündungsreaktion das Gelenk verdickt und angeschwollen. Infolge abgelöster Knochenteile im Gelenk z. B. beim isolierten Processus anconaeus ist ein Knirschen im Gelenk zu fühlen. Mit fortschreitender Erkrankung bilden sich vermehrt Arthrosen und die Bewegungsfähigkeit des Gelenkes wird mehr und mehr eingeschränkt. Die Vorführphase der betroffenen Gliedmaße ist verkürzt, die Oberarmmuskulatur bildet sich zurück. Durch die fortschreitenden Umbauvorgänge leidet der Hund unter chronischen Schmerzen.

Wie für die Hüftgelenksdysplasie ist auch für die Ellbogendysplasie eine erblich bedingte Ursache gesichert. Der Erbgang und die beteiligten Gene sind bisher nicht genau bekannt. Hohes Körpermassenwachstum und Fütterungsfehler sind begünstigende Faktoren. Die ED verursacht bei einigen, insbesondere großwüchsigen Rassen (z.B. Berner Sennenhund, Deutscher Schäferhund und Labrador R.) Probleme. Die Häufigkeit liegt teilweise bei über 40 %.

Das konventionelle Röntgen ist derzeit für die standardisierte ED-Untersuchung im Rahmen der Zuchtuntersuchungen sowie als Screeningverfahren am besten geeignet, um eventuell betroffene Tiere von der Zucht auszuschließen und so die Rasse vor dem fortschreitenden Befall von ED zu schützen. Empfehlenswert ist ein zwingendes ED-Röntgen immer dann, wenn sich Berichte von Lahmheiten der Vordergliedmaße, insbesondere bei jungen Hunden einer Rasse, häufen. Auch vermehrt nötige Operationen an den Ellbogengelenken sollten als Warnsignal aufgefasst werden. Hunde, die im Rahmen der Zuchtuntersuchung geröntgt werden sollen, müssen, wie bei der HD-Untersuchung, mindestens das erste Lebensjahr vollendet haben. Bei wachsenden Hunden vor dem ersten Lebensjahr sollte eine Lahmheit immer als Warnsignal aufgefasst werden und durch eine genauere Untersuchung inkl. Röntgen abgeklärt werden, insbesondere wenn sie mehrere Tage anhält oder wiederkehrend auftritt. Im Gegensatz zum HD-Röntgen ist beim ED-Röntgen eine Narkose nicht zwingend vorgeschrieben. Es empfiehlt sich aber, insbesondere bei ängstlichen Tieren, den Hund zu sedieren (medikamentös zu beruhigen), um Aufnahmen mit guter Qualität und Lagerung anfertigen zu können sowie den Stress des Tieres durch die Manipulation der Untersucher gering zu halten. Für eine objektive Auswertung sind je zwei Röntgenaufnahmen in zwei Ebenen pro Ellbogengelenk sinnvoll. Hierzu gehören eine seitliche Aufnahme (medio-lateral) vorzugsweise mit einer Beugung von etwa 45 Grad (Abb. 3) und eine Aufnahme in einem cranio-caudalen Strahlengang (von vorne nach hinten geröntgt) mit einer leichten Einwärtsdrehung (15 Grad Pronation) (Abb.4). Durch die leichte Einwärtsdrehung ist der innere Kronfortsatz (Proc. Coronoideus medialis) in seiner Länge besser zu beurteilen.

Abbildung 3: Seitenaufnahme des Ellbogengelenkes (medio-lateral) mit einem Öffnungswinkel (Beugung) von etwa 45 Grad. Die Beugung hat zur Folge, dass der Processus anconaeus besser abgegrenzt und beurteilt werden kann.
Abbildung 4. Cranio-caudale Aufnahme des Ellbogengelenkes. Leichtes Eindrehen (Pronation etwa 15 Grad).

Die Bewertung der Ellbogendysplasie (ED) in Deutschland erfolgt derzeit anhand folgender Kriterien und Einteilungen:

ED Grad 0
ED frei

ED Grad I
leichte ED
Definition: Osteophyten irgendwo im Gelenk bis zu 2 mm Höhe (Arthosegrad I) und/oder Stufe => 2mm zwischen Elle und Speiche.

ED Grad II
mittlere ED
Definition: Osteophyten irgendwo im Gelenk von 2 bis 5 mm Höhe (Arthrosegrad II) und/oder Verdacht einer Primärläsion.

ED Grad III
schwere ED
Definition: Osteophyten von > 5 mm Höhe irgendwo im Gelenk (Arthosegrad III) und/oder eindeutiger Nachweis einer Primärläsion

Es ist auch möglich, einen sogenannten Grenzfall in die ED-Bewertung mit einzubeziehen. Dieser würde alle unklaren bzw. verdächtigen Befunde beschreiben. Grundsätzlich ist zu empfehlen, Hunde mit den ED-Graden II und III von der Zucht auszuschließen.

Es ist auch möglich, einen sogenannten Grenzfall in die ED-Bewertung mit einzubeziehen. Dieser würde alle unklaren bzw. verdächtigen Befunde beschreiben. Grundsätzlich ist zu empfehlen, Hunde mit den ED-Graden II und III von der Zucht auszuschließen.

Abbildung 5 Gebrochener (fragmentierter) Kronfortsatz (Processus Coronoideus) mit gegenüberliegender Knorpelälsion ( sogenannte „Kissing leasion“)
Abbildung 6.: IPA (Isolierter Processus Anconaeus). Der gelenksbeteiligte Knochenfortsatz (sog. Proc. Anconaeus) ist nicht vollständig verwachsen oder hat sich gelockert. Als Folge entstehen Umbauvorgänge (Arthrose).
Abbildung 7: Röntgenaufnahmen seitlich und cranio-caudal: Fortgeschrittenes Stadium der Ellbogendysplasie. Hochgradige Knochen- und Knorpelveränderung (Arthose) infolge eines abgebrochenen inneren Kronfortsatzes (FCP).

Als ergänzendes und weiterführendes Untersuchungsverfahren ist die Computertomographie, insbesondere in der ED-Diagnostik, hilfreich. Das Schnittbilderverfahren ermöglicht, kleinere Knochen und Knorpelveränderungen darzustellen, die im konventionellen Röntgenbild in manchen Fällen nicht sichtbar sind. Diese Untersuchung erfordert neben einer Narkose einen höheren technischen und finanziellen Aufwand. Sie sollte, auch im Hinblick auf die Strahlenbelastung, ausschließlich weiterführender Diagnostik in unklaren Fällen dienen. Bei Obergutachten im Rahmen der ED-Begutachtung ist die Computertomographie ebenfalls eine wichtige Option. Sie kann hierbei, auch auf Wunsch des Besitzers, als wertvolle Ergänzung zu den erneut anzufertigenden Röntgenaufnahmen dienen. Weiterhin ist die arthroskopische Untersuchung (Gelenkspiegelung) in der Ellbogendiagnostik und -therapie ein gängiges und vorteilhaftes Verfahren, um in unklaren Fällen eine ergänzende Diagnose zu stellen und gelenks- und gewebeschonend zu therapieren. Mittels einer Kamera (Arthroskop) und eines Arbeitskanals ist es möglich, Knorpeldefekte zu behandeln und kleinere, lockere oder gebrochene Knochen- und Knorpelanteile ohne größere Gewebsverletzungen zu entfernen.

Die ED ist eine ernstzunehmende, überwiegend erbliche Erkrankung, die teilweise große Hundepopulationen und zahlreiche Zuchtlinien betreffen kann. Hunde, die gerade im jungen Alter, insbesondere während der Wachstumsphase, lahmen, sollten kontrolliert bzw. geröntgt werden. Zudem sollten sie, bis eine lahmheitsfreie Phase von mindestens zwei Tagen erreicht ist, an übermäßiger Bewegung gehindert werden, um eine evtl. entstandene Entzündungsreaktion im Gelenk nicht zu verschlimmern.
Das Füttern von hochkalorischer Nahrung und Mineralergänzungsfutter insbesondere ab dem vierten Lebensmonat sollte vermieden werden, da übermäßiges Wachstum und Fütterung die Entstehung der ED begünstigen kann. Bei Läsionen, wie einem abgesprungenen Knochen (z.B. FPC), kann man chirurgisch die Erkrankung beheben und eine Arthosebildung frühzeitig verhindern. Früh erkannt kann dem Hund so ein weitgehend schmerzfreies Leben ermöglicht werden. Den Zuchtverantwortlichen sollte es am Herzen liegen, die Hundepopulation im Hinblick auf Erkrankungen jeglicher Art zu überwachen. Speziell bei der Ellbogendysplasie ist dringend anzuraten, bei einem Verdacht ein Screeningverfahren einzuleiten. Empfehlenswert ist es, viele Hunde einer Population bzw. Zuchtlinie zu röntgen, um den Befall mit ED festzustellen, und die betroffenen Zuchtlinien zu identifizieren.

Dr. Alexander Koch
www.tierklinik-oerzen.de